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Momentum- und Contrarian-Strategien

Was sind Momentum- bzw. Contrarian-Strategien?

Bei Momentum- bzw. Contrarian-Strategien werden über vorgegebene Zeiträume (sogenannte Formationsperioden) Aktien eines bestimmten Marktsegments nach ihren realisierten Renditen geordnet. Eine fixe Zahl bzw. ein fester Anteil jener Aktien, die die höchsten Renditen aufweisen, wird zum sogenannten Sieger-Portfolio zusammengefasst, entsprechend die gleiche Zahl bzw. der gleiche Anteil mit den niedrigsten Renditen zum sogenannten Verlierer-Portfolio. Bei einer zyklischen Handelsstrategie wird das Sieger-Portfolio gekauft und das Verlierer-Portfolio leerverkauft, während bei einer antizyklischen Strategie entsprechend das Verlierer-Portfolio gekauft und das Sieger-Portfolio leerverkauft wird. Die aufgebauten Positionen werden über die sogenannte Test- oder Halteperiode gehalten und die Performance der Strategien über diese Periode beobachtet. Je nach Länge der Formations- und Halteperiode wird zwischen kurzfristigen (bis zu einem Monat), mittelfristigen (drei bis zwölf Monate) und langfristigen (ein Jahr und länger) Handelsstrategien unterschieden.

Konnten Contrarian-Strategien in der Vergangenheit Überrenditen erzielen?

DEBONDT/THALER (1985) stellten fest, dass das Verlierer-Portfolio in den Testperioden deutliche Kursgewinne verzeichnete, während die Aktien des Gewinner-Portfolios Kursabschläge hinnehmen mussten. Für monatliche Aktienrenditen von 1926 bis 1982 ermittelten sie bei einer Periodenlänge von 36 Monaten eine Überrendite von 24.6 %, wobei sich eine ausgeprägte Saisonalität zeigte, da die Trendumkehr größtenteils in den Januarmonaten auftritt, was einen Zusammenhang mit bereits vorher dokumentierten Datumseffekten nahe legt.

Eine Verlängerung der Formationsperiode auf 60 Monate erhöhte die Performance-Differenz, während eine kürzere Formationsperiode von einem Jahr praktisch keine Differenz zwischen Gewinner- und Verlierer-Portfolio in den nachfolgenden 24 Monaten ergab.

Die Berechnung der marktadjustierten Renditen unterliegt der Annahme, dass das Gewinner- und Verlierer-Portfolio das gleiche Risiko aufweisen. DEBONDT/THALER (1985) berechnen daher das systematische Risiko beider Portfolios über eine Periode von 60 Monaten zum Formationszeitpunkt und ermitteln, dass das Gewinner-Portfolio ein statistisch signifikant höheres Beta als das Verlierer-Portfolio aufweist. Wenn das CAPM das richtige Bewertungsmodell ist, dann weist das Verlierer-Portfolio nicht nur eine höhere Rendite als das Gewinner-Portfolio auf, sondern auch eingeringeres Risiko.

DEBONDT/THALER (1985) führen ihre Ergebnisse auf einen psychologischen Erklärungsansatz zurück, nämlich eine Überreaktion der Investoren auf historische Renditen, die in der Literatur unter dem Begriff „Overreaction“ bekannt ist.

LAKONISHOK/SHLEIFER/VISHNY [LSV] (1994) untersuchten am US-Aktienmarkt für den Zeitraum von 1968 bis 1990 eine ganze Reihe von antizyklischen Handelsstrategien, die auf verschiedenen historischen Kennzahlen (Cashflow/Kurswert, Gewinn/Kurswert, Dividendenrendite) und auch auf Kombinationen aus diesen Kennzahlen beruhen. Anhand dieser Kennzahlen bzw. Kombinationen aus diesen nehmen LSV (1994) eine Unterteilung der Aktien in sogenannte Wertaktien („Value Stocks“) und sogenannte Wachstumsaktien („Growth Stocks“) vor.

Für Halteperioden von ein bis fünf Jahren ermitteln sie Überrenditen von bis zu 11 % pro Jahr. Bei der Untersuchung wurden die unterschiedlichen Risikocharakteristika der einzelnen Portfolios berücksichtigt, ohne dass sich wesentliche Änderungen ergeben hätten.

Die Ergebnisse werden von LSV im Einklang damit gesehen, dass einerseits Wachstumsaktien, die in der Vergangenheit hohe Renditen erzielt haben und mit denen der Markt hohe Erwartungen verknüpft, überbewertet sind, und andererseits Wertaktien, die in der Vergangenheit niedrige Renditen erzielt haben und mit denen der Markt niedrige Erwartungen verbindet, unterbewertet sind. Folglich liefern Wertaktien gegenüber Wachstumsaktien aufgrund einer nachfolgenden Bewertungskorrektur systematische Überrenditen.

Können die Ergebnisse für den deutschen Markt bestätigt werden?

Die Ergebnisse für den deutschen Aktienmarkt ähneln den Ergebnissen für den US-amerikanischen Aktienmarkt. SCHIERECK/WEBER (1995) untersuchten den Erfolg der Contrarian-Strategien für den Zeitraum von 1961 bis 1991. Sie errechnen für eine fünfjährige Formations- und Testperiode für das Portfolio der 20 Verlierer-Aktien eine kumulierte Überrendite von 22,37 %, während das Portfolio der Sieger-Aktien mit einer Überrendite von 0,67 % keine signifikanten Abweichungen von der Marktentwicklung aufweist, wodurch sich eine eindeutig asymmetrische Ergebniszusammensetzung der Contrarian-Strategie ergibt.

Konnten Momentum-Strategien in der Vergangenheit Überrenditen erzielen?

Die Untersuchung von JEGADEESH/TITMAN (1993) dokumentierte den Erfolg der Momentum-Strategie am US-amerikanischen Aktienmarkt für den Zeitraum von 1965 bis 1989. JEGADEESH/TITMAN (1993) betrachteten drei- bis zwölfmonatige Formations- und Halteperioden.

JEGADEESH/TITMAN (1993) ermittelten für alle Momentum-Strategien positive Renditen. Die von JEGADEESH/TITMAN (1993) schwerpunktmäßig betrachtete 6-/6-monatige Strategie (6 Monate Test- und Haltedauer) erzielte eine jährliche Rendite von 12,01 %. Eine Zerlegung des Erfolgs der Momentum-Strategie lässt nicht erkennen, dass die Renditeunterschiede durch systematische Risikounterschiede verursacht werden. Es zeigt, dass weder das CAPM noch das Drei-Faktor-Modell von FAMA/FRENCH (1993) die Renditeunterschiede erklären können.

Die Ursache für die Ergebnisse sahen JEGADEESH/TITMAN (1993) in einer verzögerten Kursreaktion auf unternehmensspezifische Informationen.

Konnte ein Gewinnmomentum in den Aktienrenditen nachgewiesen werden?

Wie die Contrarian-Strategien wurden auch die Momentum-Strategien nicht alleine auf Basis historischer Renditen untersucht.

In der Untersuchung von CHAN/JEGADEESH/LAKONISHOK [CJL] (1996) versuchten die Autoren, die Ursachen für die Trendkontinuität der kurzfristigen Renditen zu ermitteln. Eine Trendkontinuität in den Aktienrenditen kann auf eine Unterreaktion der Marktteilnehmer auf kursrelevante Informationen oder auf das Mitwirken sogenannter „Positive Feedback Traders“ zurückgeführt werden. Das Mitwirken von Positive Feedback Traders führt dazu, dass rationale Marktteilnehmer nicht nur Fundamentaldaten, sondern auch die Reaktion der Positive Feedback Traders auf Kursbewegungen zur Bildung ihrer Erwartung hinsichtlich des zukünftigen Aktienkurses heranziehen.

CJL (1996) stellten hier sowohl kurs- als auch gewinnbasierten Erfolg der Momentum-Strategie fest. Die Autoren fanden heraus, dass Maße der Gewinninformation die zukünftigen Renditen in den nachfolgenden sechs bis zwölf Monaten zu prognostizieren helfen. Aktien mit einer positiven Gewinnüberraschung erzielten in den nachfolgenden Monaten eine signifikante Überrendite gegenüber Aktien mit negativer Gewinnüberraschung. Die gewinnbasierte Momentum-Strategie erzielte über sechsmonatige Halteperioden bei der Anwendung des Durchschnitts der Revision der Gewinnprognosen von Aktienanalysten eine Renditedifferenz von 7,70 %. Die gewinnbasierte Momentum-Strategie erzielte über die gleiche Halteperiode eine Renditedifferenz von 8,80 %. Das Preis-Momentum ist stärker ausgeprägt als das Gewinn-Momentum.

CJL (1996) sahen ihre Ergebnisse im Einklang mit einer Unterreaktion der Aktienkurse auf vergangene Renditen und Gewinne.

Konnten auch auf dem deutschen Markt Überrenditen erzielt werden?

SCHIERECK/WEBER (1995) untersuchten den Erfolg der Momentum-Strategie über den Zeitraum von 1961 bis 1991. Im Gegensatz zu JEGADEESH/TITMAN (1993), die Portfolios mit den jeweils zehn Prozent besten und schlechtesten Aktien des Gesamtsamples betrachten, untersuchten SCHIERECK/WEBER (1995) Strategien, die Portfolios von 10, 20 und 40 Sieger-Aktien kauften und entsprechend 10, 20, 40 Verlierer-Aktien verkauften. Untersucht wurden Handelsstrategien mit drei-, sechs- und zwölfmonatiger Formationsdauer. Die Halteperioden betrugen in jedem der Fälle zwölf Monate. Die Portfolios der 20 Sieger-Aktien erzielten in der Halteperiode durchschnittlich eine Überrendite von 4,14 % gegenüber der Rendite eines gleichgewichtigen Index, während die Verlierer-Aktien 1,07 % schlechter als der Index abschnitten; danach ergab sich zwischen Sieger- und Verlierer-Portfolio eine Renditedifferenz von 5,21 %. Eine Reduzierung der Portfoliogröße auf 10 Aktien erhöhte den Erfolg der Momentum-Strategie auf 7,88 %, eine Erweiterung auf 40 Aktien schmälerte den Erfolg auf 3,22 %. Die Untersuchung von SCHIERECK/WEBER (1995) zeigte Verschiebungen im Zeitverlauf. Die durchschnittliche kumulierte Überrenditedifferenz hatte sich in den Subperioden 1961 bis 1970, 1971 bis 1980 und 1981 bis 1990 im Zeitablauf von 1,06 % über 5,31 % auf 9,25 % erhöht. Eine Verkürzung der Halteperiode auf sechs bzw. drei Monate führte zu keinen strukturellen Änderungen der Resultate.

Die Ergebnisse wurden von BRONMANN/SCHIERECK/WEBER [BSW] (1997) für den Zeitraum von 1974 bis 1993 bestätigt. Ferner stellten sie fest, dass der Erfolg der Momentum-Strategie auch bei Berücksichtigung von Leerverkaufs- und Liquiditätsrestriktionen oder Transaktionskosten ökonomisch ausbeutbar bleibt.

Kann die Überrendite von Momentum-Strategien durch ein höheres Risiko erklärt werden?

Die Frage, ob die von SCHIERECK/WEBER (1995) und BSV (1997) ermittelten Renditedifferenzen auf unterschiedliche Risikostrukturen von Sieger- und Verlierer-Aktien zurückzuführen sind und damit als Kompensation für das systematische Risiko erklärt werden können, blieb in beiden Untersuchungen weitestgehend unbeantwortet. Dieser Aspekt ist der Schwerpunkt der Untersuchung von AUGUST/SCHIERECK/WEBER [ASW] (2000), die die Periode von 1973 bis 1997 umfasst. ASW (2000) betrachteten insgesamt 16 Strategien mit je vier unterschiedlich langen Formations- und Testperiodendauern von drei bis zwölf Monaten. Tabelle 13 gibt einen Überblick über die marktbereinigten Überrenditen von 16 momentumbasierten Strategien. Als besonders erfolgreich zeigt sich eine Strategie mit einer sechsmonatigen Formations- und einer zwölfmonatigen Testperiode. Hier errechnet sich eine durchschnittliche Renditedifferenz von 12,36 %. Bei dieser Strategie fällt auf, dass Gewinner und Verlierer mit Überrenditen von 6,12 % bzw. -6,25 % einen annähernd gleichen Beitrag zum Erfolg liefern. Bei den übrigen Strategien ist ein asymmetrisches Renditeverhalten zu beobachten: Sieger leisten einen wesentlich höheren Beitrag zum Erfolg der Momentum-Strategie als Verlierer. Die Ergebnisse stimmen in ihrer Struktur und annähernd auch in ihrer Größenordnung mit Untersuchungen des Momentum-Effekts für die USA und andere europäische Länder überein.

ASW (2000) nahmen eine Risikoadjustierung anhand des CAPM und des Drei-Faktor-Modells von FAMA/FRENCH (1993) vor. Für die Portfolios mit sechsmonatiger Formationsperiode errechneten ASW (2000) einen Beta-Faktor von 1,03 für Verlierer und 1,11 für Gewinner. Die Differenz von 0,0876 reicht jedoch nicht aus, um den Erfolg der Momentum-Strategien zu erklären. Desweiteren wandelt sich die positive Differenz der Beta-Werte zum Formationszeitpunkt in eine negative Differenz von -0,1195 zum Ende der Halteperiode, so dass eine Trendumkehr zu erwarten wäre.

Auch eine Risikoadjustierung gemäß dem Drei-Faktor-Modell von FAMA/FRENCH (1993) liefert keine Erklärung für den Erfolg der Momentum-Strategie. Es zeigt sich sogar, dass die Renditedifferenzen im Vergleich zu marktbereinigten Differenzen höher ausfallen. Bei der Charakterisierung der Gewinner und Verlierer stellten ASW (2000) fest, dass Gewinner ein über- bzw. Verlierer ein unterdurchschnittliches Gewinnwachstum haben, was die Existenz eines Gewinnmomentums vermuten lässt.

Ferner beobachteten ASW (2000), dass die Überrenditen nur in den ersten 12 Monaten entstehen und nach 12 Monaten keine signifikanten Renditedifferenzen bei Gewinnern und Verlierern messbar sind. Allerdings sind bis zu einer Frist von 3 Jahren nach dem Formationszeitpunkt auch keine Korrekturen zu beobachten, und die Überrendite der Gesamtstrategie bleibt bis zu diesem Zeitpunkt signifikant gegen Null abgesichert. Erst nach 3 Jahren kehren sich die Überrenditen, insbesondere jene der Verlierer, um.

Im Vergleich zu Untersuchungen in den USA und anderen europäischen Ländern erweist sich der Momentum-Effekt in Deutschland als langfristig stabil. Diese Erkenntnisse stützen die Hypothese einer unterproportionalen, verzögerten Anpassung der Preise an neue Informationen, die mittelfristig in einem Momentum-Effekt zum Ausdruck kommt. Durch die langfristig gegenläufigen Überrenditen kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass der Erfolg der Momentum-Strategie zum Teil auch durch eine Überreaktion verursacht wird.

Gibt es Erklärungsansätze zum Erfolg von Contrarian- bzw. Momentumstrategien?

Während der Erfolg der Momentum-Strategien evident zu sein scheint, ist der Erfolg der langfristigen Contrarian-Strategie Gegenstand einer anhaltenden Kontroverse.

Mögliche Erklärungsansätze für den Erfolg von Momentum- und Contrarian-Strategien sind: